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Hinter Wänden und Wildnis

von Sina Marx

Ein augenzwinkernder Reisebericht über Sri Lanka

Von oben sieht Sri Lanka aus wie eine unbewohnte Insel, Palme an Palme an Palme…
Eine einzige grüne Fläche, umgeben von wogender See, nirgends Anzeichen von Zivilisation, kein Haus, kein Auto, nur Dschungel. Erst wenn das Flugzeug das Blätterdach durchbricht und zur Landung auf die Hauptstadt Colombo ansetzt, sind Flughafen, Straßen und Leute zu sehen.

Aussteigen, Koffer holen, Papiere prüfen lassen, Papiere noch einmal prüfen lassen und schließlich nur noch ein paar Schritte auf die großen Glastüren zu, an grimmig dreinblickenden Soldaten vorbei, die dafür sorgen, dass Bettler, Diebe und Verkäufer die Touristen nicht verschrecken. Das Leben wartet also hinter den Wänden des Flughafens: Die Türen fahren zur Seite und es ist, als liefe man vor eine Wand aus Hitze, Feuchtigkeit und Lärm. Die erste Zigarette nach 15 Stunden klimatisiertem Abgeschottetsein und von allen Seiten schreien Menschen auf Ceylonesisch, Hindu, gebrochenem Englisch; ziehen an Ärmeln, zergeln an Taschen. Die Luft ist so dick, dass man sie anfassen möchte. Atmen anstrengend. Schwindel. Unser Fahrer steht bereit, nimmt uns die Taschen ab, führt uns in den Schatten von Palmen. Sofort verlieren die vorher so interessierten Singhalesen das Interesse. Die Weißen sind schon an einen anderen vergeben. Suranjan, der Fahrer, bittet uns in den Wagen. Der Film aus Schweiß und Luftfeuchtigkeit, der sich auf der Haut gebildet hat, scheint zu gefrieren. Klimaanlage - des Ceylonesen liebstes Spielzeug. So, wie es in den westlichen Ländern als schick gilt, ein Handy zu besitzen, das klein genug ist, um es sich in die Nase zu stecken, muß ein hipper Ceylonese in der Lage sein, mit seiner Klimaanlage kochendes Wasser innerhalb von Sekunden in Eis verwandeln zu können. Fröstelnd schaue ich aus dem Fenster auf das Durcheinander von schreienden Menschen, Müll und Hundekot, der in der sengenden Sonne dampft.

Die Fahrt geht los. Vier Stunden Autofahrt sind es von Colombo ins Landesinnere. Vier Stunden Todesangst. Viel wird in den Reiseführern die Gelassenheit, die Heiterkeit der Sri Lankesischen Bevölkerung gepriesen. Nirgends jedoch wird man davor gewarnt, dass Gelassenheit und Heiterkeit auf den Straßen Sri Lankas völlig fehl am Platz sind. Auf zweispurigen Fahrbahnen wird grundsätzlich mit drei bis vier Autos nebeneinander gefahren. Linksverkehr, versteht sich. Anfangs dachte ich, das Hupen diene dazu, die anderen drei bis vier Wagen, die einem entgegenkommen darauf aufmerksam zu machen, dass wenn nicht augenblicklich jemand ausweicht, es zwangsläufig zu einer Massenkarambolage kommen wird. Doch weit gefehlt, gelassen und heiter wird in einem atemberaubenden Tempo umeinander herumgekurvt.

Die Hupe jedoch, welche unablässig in Gebrauch ist, dient allein kommunikativen Zwecken: "Du hast ein Auto, ich hab ein Auto, wir treffen uns, also wird gehupt." Dieser obligatorische Gruß, der jedem, der sich einmal in einer ceylonesischen Großstadt aufgehalten hat, in den Ohren klingt, kommt in genau einem aller anzunehmenden Fälle nicht zum Einsatz: wenn eine Kuh auf der Straße steht. So gut wie alle Staus auf Sri Lanka werden von Kühen verursacht.

Diese stehen, meist in Begleitung von kleinen Kindern, die auf sie achten sollen, am Straßenrand und fressen. Kommt nun eine von ihnen auf die Idee, das Gras auf der anderen Straßenseite sei viel frischer und saftiger (wobei keiner dieser Begriffe jemals auf Gras am Straßenrand zutreffen könnte, denn die Erfindung des Katalysators geht in der Euphorie über die Erfindung der Klimaanlage unter), so spaziert sie in aller Seelenruhe auf die Fahrbahn, bleibt dort mit der für Kühe typischen Orientierungslosigkeit stehen und beschließt, erst einmal ein wenig wiederzukäuen.

An dieser Stelle wunderte ich mich etwas über die Aufgabe der Kinder bei der ganzen Sache, denn was soll ein 5-jähriger gegen ein vierhundert Kilogramm schweres Rind ausrichten, das hungrig ist? Währenddessen sind alle sich nähernden Fahrzeuge mit quietschenden Reifen zum stehen gekommen. Anstatt aber nun die allseits beliebte Hupe zu betätigen, wird gehalten und gewartet. Und gewartet. Nach einiger Zeit erkundigen wir uns beim Fahrer, warum er nicht mit einigen anderen Autofahrern zusammen die Kuh von der Straße scheuche. Wir ernten verständnislose Blicke. "Cows is holy", erklärt er kurz angebunden, ganz so, als sei damit alles gesagt. Nach schier unendlicher Warterei in dem klirrend kalten Auto, gibt die Kuh das Nachdenken auf und tapert gemächlich wieder auf die ursprüngliche Straßenseite zurück. Kaum hat sie das Gras am Fahrbahnrand erreicht, geht es mit ungebrochenem Enthusiasmus wieder los: Huuuuuup-huuup. Der Wagen ruckelt über Schlaglöcher, die Häuser werden weniger, Dschungel, wohin das Auge blickt, ab und zu eine schiefe Holzhütte, neben die Palmen geduckt.

Hin und wieder kommen wir durch kleine Dörfer und je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, desto mehr starren die Leute. Sie glotzen, mit weitaufgerissenen Augen, weit aufgerissenen Mündern, sie starren unverhohlen, zeigen mit dem Finger auf die weißen Gesichter hinter der Fensterscheibe. Kichern. Lächeln. Runzeln die Stirn. Woran liegt es, dass man sich unwillkürlich schuldig fühlt, von einem Schwarzen durch die Gegend chauffiert zu werden? Eingeimpft. Kinder kommen ans Auto, klopfen ans Fenster, halten die Hand auf. "Dollar, Madam, Dollars?" Man ist verlegen; erleichtert, wenn die Fahrt weiter geht. Noch verlegener ob der eigenen Erleichterung. Schließlich sind wir am Ziel, eine riesige Hotelanlage, hermetisch abgeriegelt, Stacheldraht, Wachtürme. Wir fahren zum Pförtner vor, Papiere werden ausgetauscht, Blicke in den Wagen geworfen. Wir werden durchgewinkt. Etwa zwanzig Leute warten auf unsere Ankunft, tragen unsere Koffer davon, legen uns Blumenketten um den Hals und reichen uns grüne Kokosnüsse zum trinken. "Ayubowan", sagen sie, verbeugen sich. "Willkommen." Während wir uns in der flirrenden Hitze in die Empfangshalle setzen, stehen sie alle um uns herum, lächelnd und beobachten uns aus den Augenwinkeln.

Wir werden durch einen weitläufigen Park zu unseren Bungalows geführt, wo wir uns den örtlichen Sitten und Gebräuchen umgehend anpassen: wir schalten die Klimaanlage auf die höchste Stufe. Völlig bewegungsunfähig vor Erschöpfung bleibe ich bis zum Abendessen auf dem Bett liegen. In der farbenprächtigen Dämmerung gehen wir schließlich zum Restaurant hinüber, begleitet von vogelähnlichem Gezwitscher der Streifenhörnchen, die munter in den Bäumen herumturnen.

Mit etwa sieben anderen Gästen an unserem Tisch - ausnahmslos Erleuchtungstouristen, die nicht nur nach Asien, sondern gleich in ihre eigene Mitte reisen - warten wir auf das ayurvedische Essen. Die anderen bestellen allesamt begeistert heilsamen Kräutertee, der mir, als ich ihn mutig probiere, alle Geschmacksnerven zusammenzieht. Den restlichen Aufenthalt über halte ich mich an Wasser.

Nach dem gewöhnungsbedürftigen Essen ist mir etwas flau im Magen und die schwüle Feuchtigkeit drückt mir auf den Kopf. So wünsche ich schon früh eine gute Nacht und gehe durch den dunklen Palmenwald zurück zu unserer Hütte.

Die Lampen, welche meinen Weg säumen, flackern im hektischen Tanz der sie umschwirrenden Insekten. Die Luft um mich herum ist ein einziges Pulsieren, trägt die Stimmen unzähliger Vögel, schwirrt, zirpt, zetert. Atem des Dschungels. Scheint bei uns die Natur des Nachts zu schlafen, so erwacht sie auf Sri Lanka mit beeindruckender Entschlossenheit. Augen glühen in der Dunkelheit und ich beschleunige meinen Schritt, als plötzlich etwas mein Gesicht streift und zappelnd in meinen Haaren hängen bleiben. In Panik schreie ich auf, fuchtle unkontrolliert in meinen Haaren herum und schleudere das undefinierbare Wesen zurück in die Nacht. Zittrig schnappe ich nach Luft, das Herz trommelt in meinem Brustkorb, als mir die jäh eingetretene Stille auffällt. Die Wildnis hält gespannt den Atem an.

In diesem Moment trifft mich schlagartig eine Erkenntnis: Dringt zuhause in mein Reich irgendwo ein Insekt ein, wird es prompt als unerwünschter Fremdkörper, als Eindringling registriert und eliminiert. Und nun spüre ich zum ersten Mal, im Schweigen des Urwaldes, das beinahe auf der Haut prickelt, mit jeder Faser meines gänsehautüberzogenen Körpers, wer der wahre Eindringling ist. Kleinlaut schleiche ich die letzten Meter zum Bungalow, innerlich um Verzeihung bittend, nicht nur für die Störung, sondern für all die Jahre arroganter Gleichgültigkeit, für das rücksichtslose Verhalten einer ganzen Rasse. Doch kaum habe ich die Hütte betreten und mich hingelegt, beeile ich mich, das Moskitonetz sorgfältig übers Bett zu spannen. So liege ich dort, dreifach geschützt. Durch die Wände der Hütte, die Grenze des Moskitonetzes und die inneren europäischen Mauern- Abwehrmechanismen- habe ich es geschafft, das pulsierende Leben auszusperren. Oder mich selbst einzusperren?

Am nächsten Morgen lässt die Sicherheit des Tageslichtes die nächtlichen Ereignisse verblassen und lächerlich erscheinen. Derselbe Weg, doch ohne Gedanken, die über das Frühstück hinausgehen. Ein Frühstück aus dampfender Blättersuppe mit Knoblauch, giftgrün. Dazu heißes Wasser. Der Magen will sich mir wieder umdrehen, doch die abschätzenden Blicke der Geläuterten mit ihrem Kräutertee treibt die Suppe rein.

Nach dem Frühstück gibt es die erste Ayurveda-Behandlung. Meine Therapeutin ist ein junges Mädchen, schüchtern, spricht kaum englisch. Ich versuche, mich mit Händen und Füßen zu verständigen. Sie nickt bloß immer und sagt lächelnd: "Yes Madam." Schließlich sitze ich von oben bis unten eingeölt in einem sackartigen indischen Kaftan auf der Terrasse unserer Hütte und beobachte den Kampf zwischen einer fingerdicken Raupe und einer Ameise. Die Nase fast an die Wand gepresst, fiebere ich bei dieser Auseinandersetzung auf Leben und Tod mit, bei der die Ameise sich überlegen durchsetzt. Als das Spektakel vorbei ist, fällt mir einer der Gartenarbeiter auf, der mich mit ratloser Miene beobachtet hat und sich nun, da ich ihn bemerkt habe, rasch abwendet. In der Verlegenheit stecke ich mir eine Zigarette an, bevor mir wieder einfällt, dass Rauchen auf Sri Lanka ein absolut verpöntes Laster ist. Sein Bild von mir scheint sich nun bestätigt zu haben: Die spinnen, die Weißen!

Am nächsten Morgen geht es in aller Frühe auf einen Ausflug ins drei Autostunden entfernte Kandy. Auch wenn ich mich auf die Besichtigung der Teeplantagen und Tempelanlagen freue, graut es mir vor der Fahrt. Doch der atemberaubende, geradezu pompöse Sonnenaufgang, der jeden übertrifft, den ich auf den verschiedenen Kontinenten bisher gesehen habe, lässt mich die Angst vergessen.

Auf dem Hinweg also bin ich erstaunlich gelassen und schaffe es sogar, die draußen vorbeiziehende Landschaft zu bewundern. Dichter Regenwald und ausgedehnte Reisfelder wechseln einander in nie gesehenen Grüntönen ab. Riesige, mit pastellfarbenen Seerosen und davon kaum zu unterscheidenden Wasservögeln überzogene Seen, die sich idyllisch vor hochaufragenden Bergen abzeichnen, halten das Auge des Betrachters gefangen, sodass die neugierigen Blicke der Einwohner kaum noch auffallen.

Zunächst besuchen wir eine der zahlreichen Teeplantagen, die sich in unendlichen Hügellandschaften bis zum Horizont ziehen. Inmitten dieses sanften Paradieses steht eine kleine Teefabrik, die wir besichtigen. Erst das obere Stockwerk, das wie eine kleine Teestube aufgebaut ist. Mitbringsel gibt es dort zu kaufen, natürlich Unmengen an Tee und hübsche Postkarten, welche die Gegend in all ihrer Pracht zeigen. Dann steigen wir hinab in den Keller, wo die eigentliche Arbeit stattfindet.

Es verschlägt einem augenblicklich den Atem, keuchend ringt man nach Luft in der unvorstellbaren Hitze dort unten. Heißes Kondenswasser tropft von der Decke, läuft die Wände herunter. Man sieht kaum die Hand vor Augen, überall steigen dicke Dampfwolken auf. Ich kann dem Drang, rauszurennen, kaum widerstehen, der Kreislauf spielt nicht mit, die Kleidung ist sofort tropfnass und schwer geworden. Wasser und Schweiß brennen in den Augen, blinzelnd versuche ich etwas zu erkennen und bereue es sofort. Die Umrisse hunderter Frauen und Männer, die über große Kübel gebeugt stehen und inmitten dieser Hölle aus Feuchtigkeit und Hitze harte körperliche Arbeit verrichten, sind genug, um mich auf dem Absatz kehrt machen zu lassen. Jeder Schritt ist eine unglaubliche Anstrengung, mir wird schwarz vor Augen, das von der Decke tropfende Wasser verbrennt die Haut. Endlich stoße ich die schwere Tür auf und taumle nach draußen. Mit einer Erleichterung, als wäre ich zu lang unter Wasser gewesen, schnappe ich nach Luft. Zittrig setze ich mich in den Schatten, einer der herumstreunenden Hunde leckt mir das Salz von der Haut. Ich befürchte, nie wieder unbefangen in eine Sauna gehen zu können. Zum ersten mal genieße ich die Leistungsstärke der Klimaanlage, als wir wieder ins Auto steigen, um zu unserem nächsten Ziel zu gelangen.

Je näher wir diesem kommen, desto mehr Verkehrszeichen sind zu sehen, die besagen: "Attention, elephants crossing the street!" Neben einem von ihnen steht eine zahnlose alte Frau mit zwei Stachelschweinen an der Leine.

Das vielleicht aufregendste an Sri Lanka waren für mich im Vorfeld die vielen Elefantenparks. Einen davon besuchen wir nun, eine riesige Dschungelanlage mit ausgetretenen Pfaden, auf denen die Touristen herumwandern können, um die freilaufenden Dickhäuter anzuschauen. Wir gehen zuerst zur Waisenstation, Jungtierfütterung steht auf dem Programm. Ich drängle mich entschlossen zwischen den wartenden Massen hindurch bis ans Gitter, um etwas sehen zu können. Hören kann man sie sehr deutlich, "trompeten" ist der falsche Ausdruck, "brüllen" wird dieser lauthalsen Forderung nach Nahrung eher gerecht. Endlich kommen die Pfleger mit den monströsen Milchflaschen. Der kleinste Elefant steht genau vor mir, klimpert mit seinen langen Wimpern, schlackert mit den Ohren und fuchtelt herzallerliebst mit seinem kleinen Rüssel vor mir herum. Als der Wärter mir die Flasche in die Hand drückt, damit ich das Baby füttern kann, bin ich aufgeregt wie ein kleines Kind. Was für eine Ehre! Selig halte ich dem Kleinen das Fläschchen, als der Pfleger in mein Ohr flüstert: "Dollars Madam?" Ich schüttle den Kopf, denn ich habe wirklich nichts bei mir, da nickt er kurz angebunden und nimmt mir die Flasche wieder aus der Hand, um sie jemand anderem zu geben. Ernüchtert ziehe ich mich zurück. Auch beim Elefantenstreicheln, Elefantenbaden, Elefantenreiten dieselbe Frage: "Dollars, Madam, Dollars?" Doch das ist mir längst nicht so unangenehm wie das Gefühl, auf einem Elefanten zu sitzen. Nie habe ich eine so falsche Rollenverteilung erlebt. Ich, als Herrscherin über dieses mächtige, weise Tier, das folgsam seinen Rüssel hebt, als der Pfleger ihm einen Klaps gibt. Posieren fürs Foto. Es bleibt nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken, denn schon geht es weiter in Richtung Kandy.

Kandy, Hauptstadt der Bildung, hier wohnen die Reichen, die es sich leisten können, ihre Kinder auf die Universität zu schicken. Die Leute hier sind stolz darauf, in Kandy zu leben, stolz auch auf ihren Tempel, in dem die heiligste Reliquie Sri Lankas aufbewahrt wird: ein Zahn Buddhas.
Am Eingang des Tempels stehen Hunderte von Schuhen, wir stellen unsere dazu, vergewissern uns, das kein Stück Haut bis auf Füße, Gesicht und Hände mehr zu sehen ist und lassen uns, Männer und Frauen getrennt, am Eingang abtasten.
Drinnen ist es angenehm kühl und still. Massiver Stein, zu zierlichen Mustern gehauen und mit reinem Gold verziert.

Steigt man einige Stufen hinauf, gelangt man zu dem Schrein des Heiligtums. Ich bleibe an der Seite stehen, um die betenden und meditierenden Menschen nicht zu stören, die zwischen Bergen von Blüten sitzen. Betritt man den Garten, führt eine gewaltige Treppe einen Berg hinauf, auf dem Räucheropfer dargebracht werden. Bereits unten schlägt einem der unverwechselbare Geruch von Räucherstäbchen in die Nase, der stärker und stärker wird, je höher man kommt. In überdachten Blumenkästen stecken abertausende von ihnen, eine einzige Rauchsäule unter freiem Himmel.

Gleich neben den Ehrerbietungen für Buddha das krasse Gegenteil: überall türmen sich Verpackungen von Räucherstäbchen, Getränkedosen, Taschentücher; Berge von Müll.

Kopfschüttelnd gehen wir zurück, als der Himmel plötzlich aufplatzt. Innerhalb weniger Sekunden sind wir vom prasselnden Regen völlig durchnässt. Barfuß rennen wir durch die matschig werdende Erde zu unseren Schuhen, in denen nun auch schon das Wasser steht. Der Himmel hat sich verdunkelt, Donner grollt, als wir ins wartende Auto springen. Unser Fahrer ist untröstlich, dass er uns nun nicht mehr von Kandy, seiner Heimatstadt zeigen kann. Während er von seiner Familie erzählt, die in der Nähe wohnt, bugsiert er den Wagen durch die überfüllten Straßen, wo Händler eilends ihre Ware einpacken, Frauen die Wäsche von der Leine nehmen und Mönche mit Regenschirmen umherlaufen.

Nach etwa zehn Minuten halten wir an einem kleinen Haus. Auf unsere verwunderten Fragen hin, gibt Suranjan zur Antwort, so könne man keinen Aufenthalt in Kandy zu Ende gehen lassen und er lade uns herzlich zu sich nach Hause ein. Wir sind einverstanden, auch wenn wir es unhöflich finden, einfach unangemeldet hereinzuschneien. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, wie gastfreundlich die Zeylonesen sind, beschämend gastfreundlich.

Als wir eintreten, sitzen zwei kleine Kinder vor dem Fernseher, ein Mann liest Zeitung und in der Küche nebenan unterhalten sich zwei Frauen. Ehe wir es uns versehen, ist der Fernseher ausgeschaltet, wir sitzen mit Suranjan und seinem Schwager auf dem Sofa und die beiden Frauen servieren Kaffee, Kuchen und selbstgebackene Plätzchen. Danach verschwinden sie wieder in der Küche. Als wir sie bitten, sich zu uns zu setzen, winken sie verschämt ab und entschuldigen sich. Scheinbar ist der Besuch den Männern vorbehalten.

Ein paar Worte vom Vater genügen und schon sitzt der kleine Junge an einem billigen Keyboard, während das Mädchen zu seiner Musik tanzt, um uns zu unterhalten. Nach dem Kaffee werden wir in dem kleinen Haus herumgeführt, stolz wird uns die bescheidene Einrichtung gezeigt. Als Suranjan anmerkt, dass seine Schwägerin Schneiderin sei, wechselt die Familie ein paar Worte und wir werden in ein winziges Zimmer geführt.

Dort liegen überall Kleidungsstücke herum, die auf dem Markt verkauft werden, um den Lebensunterhalt zu sichern. Denn obwohl Suranjans Familie für Sri Lankas Verhältnisse sehr wohlhabend ist, müssen alle hart arbeiten, um genügend Essen für die Großfamilie heranzuschaffen. Und nun sollen wir diese Kleidung geschenkt bekommen! Alles wird anprobiert, bewundert, beklatscht, natürlich ohne die Männer. Ich versuche mich unauffällig in Luft aufzulösen, zu peinlich finde ich es, Geschenke anzunehmen, die für diese Familie einen gesamten Monatslohn wert sind. Doch sie nicht anzunehmen, wäre eine tiefe Beleidigung.

Wir werden verabschiedet, als sei unser Besuch das Wunderbarste, das ihnen je wiederfahren ist. Die Kleider im Gepäck geht es nun zurück. Der Regen hat sogar noch zugenommen und je weiter wir uns von der Großstadt entfernen, desto mehr regnet es.

Ich bin absolut ratlos, wie Suranjan durch die Frontscheibe, die eine einzige graue Fläche ist, auch nur das Geringste erkennen kann. Ohne Markierungen auf der Fahrbahn und in der gewohnt hohen Geschwindigkeit rasen wir durch den Vorhang aus Wasser. Im Sekundentakt zerreißen Blitze den wolkenbehangenen Himmel. Es ist mir ein Rätsel, wie die primitiven Hütten am Fahrbahnrand dieser Flut standhalten können. Müssen die Menschen ihre Häuser jedes Jahr nach der Regenzeit von Neuem aufbauen?

Die Zeit vergeht und langsam beginne ich zu ahnen, dass die Hupe hier vielleicht doch noch eine sinnvolle Aufgabe erfüllt, denn selbst Scheinwerfer sind erst zu sehen, wenn sie direkt vor unserem Auto angelangt sind. Das ständige Hupen warnt die Fahrer vor, dass sich irgendwo in dem tosenden Niederschlag noch ein anderer Wagen befindet. Erschöpft kommen wir schließlich doch noch wohlbehalten zuhause an und gehen gleich zum Essen.

Ich lasse die anderen ihre Erlebnisse mit dem Monsun austauschen und schaufle nachdenklich und wortkarg das scharfe Gemüse in mich hinein. Ich werde erst hellhörig als einer der anderen Gäste mit beglücktem Gesichtsausdruck den Finger ausstreckt, auf eine Stelle gleich über meinem Kopf deutet und selig flüstert: "Seht doch, was für ein wunderschönes Exemplar der Hirodula Mantidae!" Interessiert drehe ich mich um, in der Erwartung, einen Schmetterling oder etwas ähnlich hübsches zu sehen und springe schreiend auf. Direkt an meinem Kopf sitzt eine handtellergroße Gottesanbeterin und starrt mich an. Die Kellner schauen belustigt zu mir rüber und ich beschließe, dass es vorerst genug Abenteuer für mich war. Ermattet schlendere ich durch den strömenden Regen zur Hütte.

Zähneputzend lasse ich mich auf der Toilette nieder, drücke die Spülung und etwas feuchtes springt mir an den Allerwertesten. In erneuter weiblicher Hysterie spucke ich kreischend die Zahnpasta durchs ganze Bad, renne mit heruntergelassener Hose aus dem Raum und schlage die Tür hinter mir zu. Nach etwa zehn Minuten traue ich mich endlich, ganz langsam die Tür einen Spalt zu öffnen und vorsichtig ins Zimmer zu linsen. Auf dem Boden sitzt ein winzig kleiner Frosch.

Nach dem Frühstück am nächsten Tag gibt es wieder ayurvedische Behandlungen. Zunächst bekomme ich eine Kopfmassage mit warmen Öl, was so entspannend ist, dass ich beinahe einschlafe. Danach ist die Gesichtsmassage und zuletzt die Ganzkörpermassage an der Reihe. Irgendwann bitte ich Nadeeka, meine Masseurin, damit aufzuhören, mich ständig "Madam" zu nennen, schließlich seien wir doch im selben Alter und überhaupt fände ich das merkwürdig. Sie schaut mich mit feuchten Augen an und stammelt sichtlich gerührt: "Thank you, Madam, thank you!" Daraufhin prusten wir beide los und jedes Mal, wenn sie mich wieder so nennt, antworte ich ihr auf die gleiche Weise, indem ich sie auch salbungsvoll mit Madam anspreche. Sie kichert jedes mal in grenzenloser Belustigung vor sich hin, wenn ich das tue und taut immer mehr auf, sie erzählt mir in dem grauenhaftesten Englisch, das ich je gehört habe und der verständlichsten Körpersprache, die ich je gesehen habe, von ihrer Familie, ihrer Arbeit und - begleitet von massenhaft Gekicher und verschwörerischem Flüstern - von ihrem Verlobten. Plaudernd gehen wir in einen anderen Raum, wo mir ein Kräuterbad eingelassen wird, um das viele Öl abzuwaschen.

In dem großen Badezimmer stehen zwei andere Therapeutinnen, beide etwa in meinem Alter. Auf Ceylonesisch teilt Nadeeka ihnen verzückt mit, worüber wir gesprochen haben und wie nett ich sei. Die beiden sind sofort ungemein interessiert und reden auf mich ein, während sie mir Handtücher reichen und den Vorhang zuziehen, der die Badewanne von den anderen trennt. Etwas beunruhigt überlege ich ob die drei mir jetzt wohl beim Baden zusehen wollen, stehe ich da als plötzlich eine von ihnen, eine typische Tropenschönheit- makellose braune Haut, glänzendes schwarzes Haar, große dunkle Augen, gertenschlank- mitten im Satz innehält, mich seufzend ansieht und sagt: "You look so pretty, Madam!" Etwas verunsichert, ob sie scherzt, stehe ich mit meinen eingeölten, am Gesicht festklebenden Haaren und dem braunen, schmierigen Kaftan vor ihr und starre sie aus müden, verquollenen Augen an. Ich grinse verlegen, trete von einem celluliteübersätem Bein auf das andere und bemerke ironisch: "Well, a little bit fat maybe…" Sie nickt begeistert und stimmt mir mit einem Anflug von Sehnsucht in der Stimme zu: "Exactly Madam, fat, yes!" Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Doch das Gefühl, als ich mich schließlich ausziehe und in die Wanne steige, während sie mir heimlich neidische Blicke zuwirft, das Gefühl ist, als habe sie mir mit ihrem arglosen Kompliment jegliche Befangenheit genommen.

In den nächsten Tagen spüre ich deutlich, dass sich herumgesprochen hat, dass diese Weiße die Mädchen nicht wie Untergebene, sondern wie Freundinnen behandelt, denn egal, wo ich hingehe, strahlt mir ein herzliches Lächeln entgegen. Jeder möchte mit mir sprechen, alle sind angetan von mir, lassen sich das feste Versprechen geben, dass ich ihnen schreibe. Ich bin positiv überrascht, dass die Nachricht von meiner Ameisenbeobachtung nicht so eine große Wirkung hatte.

Die konspirativen Treffen am Badewannenrand werden fest eingeführt, doch als ich einige in unsere Hütte einlade, wird es mit Schamesröte im Gesicht abgelehnt, als hätte ich vorgeschlagen, einen Weiberabend in einem Striplokal zu verbringen. Die Zeit der Abfahrt rückt näher, mir werden herzzerreißende kleine Abschiedsbriefchen geschrieben, die Adresse dabei, please write to me, MADAM!

Lebewohl zu sagen, ist schmerzhafter als ich es je erlebt habe, Tränen werden vergossen und wir setzen uns so schnell wie möglich ins Auto, um den Abschied nicht noch länger zu machen.

Mit dem paradoxen Gefühl, eine Heimat gefunden zu haben, die so extrem fremd ist, blicke ich auf fette Kühe und hungernde Kinder, auf Menschen, die mich abweisend mustern, weil ich anders bin, auf Menschen, die mich liebengelernt haben, weil ich mich nicht anders fühle als sie, auf ein Land, das für mich kein Urlaub war, sondern Arbeit. Beschwerliche und befreiende Arbeit an den inneren Mauern, die über all die Jahre das eigene Bewusstsein, die Lebensfreude und Kreativität eingeschränkt haben.

Sina Marx